Ungerechter Doppelblick

Zwei aktuelle Verkehrswende-Bücher: Katja Diehls „Autokorrektur“ und mein „Wer langsam macht, kommt eher an“. Für beide hier eine besonders parteiische und ungerechte Doppelkritik: meine. 

Im Grundsatz und in hundert Einzelfragen sind sich Katja Diehl und ich einig: Das ums Auto und ums Tempo kreisende Verkehrssystem erzeugt mit riesigem Aufwand viel Verheerung, ist mehr Fessel als Freiheit und grottig ineffizient.  Beide verwenden wir darauf rund 350.000 Buchstaben, Satzzeichen und Ziffern. 

Wir gehen aber sehr unterschiedlich mit dem Stoff um. Diehl behandelt ihn in bunter Folge gender-, klima-, sozial-, identitäts- und wieder genderpolitisch. Außerdem wirtschaftlich, architektonisch und urbanistisch, geriatrisch und in der Sprache auch mal existenzialphilosophisch mit dem „Blick auf den Menschen an sich“. So viel in einem macht ihr Buch etwas sprunghaft, teils schon auf kleinstem Raum: „Die Stadt wird dem Menschen zurückgegeben – und genau darum geht es. Denn seien wir ehrlich: Schon jetzt bemerken wir, dass die Temperaturen seit langem über dem Normalniveau liegen.“

Vielleicht übertreibt mein Buch in der anderen Richtung. Nur ganz kurz spricht es manche wichtigen Aspekte von Verkehr und Verkehrswende an: Klima- und Umweltschäden zum Beispiel, Geschlechterfragen und Barrierefreiheit. Das soll so< sein, weil das Buch auf das nach meiner Ansicht zentrale Verkehrs- und Mobilitätsthema kreist, die Geschwindigkeit. Lieber das richtig und dafür viel anderes gar nicht, hatte ich mir fürs Schreiben vorgenommen. 

So betrachten Diehls und mein Buch das gleiche Stück Welt wie durch zwei Seiten eines Fernglases: meins einen Ausschnitt ziemlich scharf (hoffe ich), dafür aber eng. Durch Diehls Buch guckt man wie durch ein umgedrehtes Fernglas: Der Ausschnitt wirkt viel weiter, aber oft auch milchig.

In Aufbau und Tonlage bestätigen wir beide über weite Strecken herkömmliche Geschlechterklischees, wie ich leicht erschrocken feststelle: Ich versuche es stringent und manchmal streng, eher kühl, manchmal auch aggressiv-ironisch, was Verletztheit bei empfindsamen Kritisierten in Kauf nimmt. Diehl plaudert munter und assoziativ, wiederholt sich nicht selten, und Gefühle müssen in teils gewagter Formulierung raus – so der vom „letzten Tropfen, der mein gut gefülltes Fass Beherrschung zum Überlaufen brachte“. Oder der Seufzer: „Während ich all das aufliste, wird mein Herz immer schwerer.“

Aber einem Klischee entspricht Diehl ganz und gar nicht: dem der weiblichen Schüchternheit. „Dieses Buch will Kick-off einer Gesellschaft sein, die gemeinsam eine attraktive, lebenswerte und klimafreundliche Mobilitätszukunft für alle baut… Ich versuche, das Verkehrssystem weniger behindertenfeindlich, weniger sexistisch, weniger rassistisch und weniger patriarchal zu gestalten.“ Vor so umfassender Weltverbesserung kneife ich. 

Wer sollte welches Buch lesen? Für ihrs und meins sehe ich unterschiedliche Zielgruppen: Wer sich bisher wenig oder gar nicht mit Verkehrsproblemen beschäftigt hat und sie alle zumindest kurz erwähnt haben will, wird von Katja Diehl besser bedient. Wer entspannt einen nicht allzu komplexen Stoff schmökern will, ebenso. Eine Qualität, die mein Buch nicht hat, gibt ihrem die Auswertung zahlreicher eigener Interviews: kurze Fallstudien auf insgesamt 90 Seiten, die ihre Themen individualisieren und anschaulich machen. 

Mein Buch empfehle ich in männlich-unbescheiden eher denen, die die Grundübel des Autos schon kennen und der Sache mehr auf den Grund gehen wollen. Den Zeitdiebstahl durch Geschwindigkeit betrachte ich unter etwa zwanzig Aspekten, von Unfällen über Ampeln bis zum Flächenfraß. 

Ich behaupte sogar, dass einiges in meinem Buch vorher nie geschrieben ist. Zum Beispiel die Geschichte der freien Autobahn-Raserei – als Mythos aufgebaut nach Krieg zwecks Versöhnung mit der Nazizeit. In den „Wegen zum guten Verkehr“ propagiere ich einen Fahrzeugtyp, der das Beste von Fahrrad und Auto kreuzt. Er besetzt die Verkehrswende-Lücke, die Bus, Bahn und Fahrrad nicht füllen können. 

Weil unsere Bücher so verschieden sind, sehe ich Diehls und meins übrigens nicht als Konkurrenz. Das wäre albern. Denn jedes Buch  bringt uns voran, das zur Verkehrswende erscheint. 

 

Katja Diehl: Autokorrektur – Mobilität für eine lebenswerte Welt. 
Frankfurt 2022, 272 Seiten, Taschenbuch 18 €, E-Book 16,99 €. 
Mehr auf www.fischerverlage.de, Suchwort „Autokorrektur“.

Roland Stimpel: Wer langsam macht, kommt eher an. Verkehr abrüsten, Mobilität gewinnen. 
2. Auflage Berlin 2022, 220 Seiten mit 20 farbigen Abbildungen. Hardcover 19,49 €, Taschenbuch 14,49 €, E-Book 4,99 €. Zu kaufen HIER

© Roland Stimpel