Zu Anfang ein kleines Quiz: Was ist Mobilität mit menschlichem Maß? Eine Antwort lautet: Motorräder wie die „Harley Davidson Livewire“. Alle Lastenräder, auch das sieben Meter lange „XXL-Paketrad“ der Spedition Schenker. E-Scooter natürlich und auch das dreirädriges Leichtelektromobil „Twike 3 Energy 18 kWh“. Und jetzt die Gegenfrage: Was gehört nicht zur Mobilität mit menschlichen Maß? Die Antwort ist seltsam, aber schlicht: Der gehende, ganz und gar unberäderte Mensch hat nichts damit zu tun.
Diese eigenwillige Vorstellung von menschlichem Maß vertreten einige Leute, die das Konzept der sogenannten „Feinmobilität“ propagieren. Das tun sie seit etwa zwei Jahren, und Pioniere wie der Freiburger Verkehrsplaner Konrad Otto-Zimmermann begannen es in guter Absicht: Sie wollten kleinere, leichtere, effizientere, stadt- und umweltverträglichere Alternativen zum Auto propagieren. Solche, bei denen nicht zum Transport einer einzigen Person zwei Tonnen SUV aufgewendet werden und für kleine Kosmetikpäckchen zehn Tonnen Lastwagen.
Eine gute Idee, die ihnen nur leider entglitten ist. Inzwischen geben in der Feinmobilitäts-Diskussion verkehrsplanerische Querdenker den Ton an – und vor allem Lobbyisten, die Fahrzeuge verkaufen und betreiben wollen. Sie möchten nach den E-Scootern weitere elektrisch betriebene Fahrzeuge gesellschaftsfähig und für den öffentlichen Verkehrsraum zulassungsfähig machen und sie auf die Gehwege drücken: zum Beispiel Transportroboter, Skateboards mit Motor („Hoverboards“) und motorisierte Einräder mit Pedalen („Monowheels“).
Erfolg hatten sie beim Symposium zur „Feinmobilität“ in der Universität Kassel vom 26. bis 28. September 2022. Daran nahmen 71 Menschen teil – aus der Wissenschaft, aus Behörden, Planungsbüros und auch von Verbänden, die sich irgendwann mal der Verkehrswende verschrieben hatten. Sie stellten 34 Teilnehmer. Die mit 37 TeilnehmerInnen größere Fraktion stellten die Anbieter von Zwei-, Drei- und Vierrädern und ihre Dienstleister, vom Anwalt bis zum Zweirad-Verbandsgeschäftsführer.
Sie prägten den gemeinsamen Bericht, aus dem wir oben die eigenwilligen Beispiele für „menschliches Maß“ entnommen haben. Dies erklärt auch, dass gehende Menschen nicht dazu gehören. Sie wurden nicht einfach vergessen, sondern bewusst ausgeschlossen. Denn Ziel dieser Lobbyisten ist es, dass Gehwege zu Rollpisten für ihre diversen Fahrzeuge werden. Sie sollen nicht dem Auto Raum nehmen, sondern scheinbar bequem dem Auto ausweichen.
Zu diesem Bericht gehört eine Tabelle verschiedener Typen von Verkehrsflächen. Ganz oben stehen die Gehwege, denn da ist aus Fahrzeuglobbyisten-Sicht am meisten und scheinbar einfachsten Raum zu besetzen. Zwei unauffällige Kreuzchen haben sie in der Tabelle hinter „Gehwege“ gesetzt. Dort sollen Fahrzeuge hindürfen, die scheinbar harmlos sind, nämlich angebliche Winzlinge, die mit den Prädikaten „XXS“ und „XS“ klassifiziert sind. Davon gibt es allerdings in einer anderen Tabelle im gleichen Bericht 37 unterschiedliche Typen. Transportroboter und Lastenräder sollen auf bisherigen Gehwegen fahren, E-Scooter und Segways, Kabinenroller und Rikschas.
Feinmobilisten wiegeln ab: Alles halb so schlimm. Erstens sollen sie da höchstens mit sechs Stundenkilometern fahren dürfen. Wie wirksam solche Regeln sind, wissen alle, die auf Gehwegen von hier illegalen Rad- und E-Scooter-Fahrern geschnitten werden, die fünfmal schneller sind als sie selbst. Die zweite Abwiegelei ist nicht besser: Es sollen nur Fahrzeuge mit einer „bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit“ von 15 Stundenkilometern hier fahren können. Das wäre dreifaches Gehtempo. Und das Limit gilt nur für Fahrzeuge, deren Bauart überhaupt eine Tempogrenze kennt. Also für kein sieben Meter langes Transportahrrad oder den „Bike-Bus“ mit zehn Sätteln.
Solche Feinmobilisten träumen einen Traum, den sich selbst Andreas Scheuer als Minister verkniff. Er wollte bloß E-Scooter auf Gehwegen zulassen und erntete schon damit einen Proteststurm von Sozial-, Senioren- und Behindertenverbänden, der ihm schließlich die schlechte Absicht vermasselte. E-Mobilisten sind darüber heute noch sauer, und nun sehen sie offenbar ihre Chance gekommen.
Von den Verbänden SRL (Stadtplaner- Regionalplaner- Vereinigung) und VCD (Verkehrsclub Deutschland) war nur jeweils eine Person auf dem Kasseler Symposium.
Erste Feinmobilisten merken inzwischen, dass sie in eine Sackgasse chauffiert wurden. Es sei ja alles nur ein Zwischenstand und die Diskussion habe erst begonnen, versuchen sie zu erklären. Das hoffen wir auch und bringen in diese Diskussion ein:
Wer kleinere Fahrzeuge auf der Fahrbahn fördern will, muss schon aus der Autolobby mit ihren Industrieverbänden, Gewerkschaften und anhänglichen Verbänden mit viel Widerstand rechnen. Das Konzept der Feinmobilität droht ganz und gar das Zerreiben, wenn es von der anderen Seite auf den Widerstand von millionenstarken Verbänden der Älteren, der sozialen Interessen und der Menschen mit Behinderung stößt. Fahrzeuglobbyisten dürfen nur eine Minderheit sein, aber nicht die Diskussion dominieren. Sonst verlieren am Ende alle – und es gewinnen mal wieder nur die mit den großen Autos.
Es freut uns, dass erste Nicht-Lobbyisten jetzt den Begriff konstruktiv statt aggressiv verwenden. Der Pionier Konrad Otto-Zimmermann stellt klar: „Feinmobilität ist Mobilität zu Fuss und mit Verkehrsmitteln im Spektrum zwischen Schuh und Auto.“
Wolfgang Packmohr, Roland Stimpel
Die Autoren sind Vorstandsmitglieder des FUSS e.V.
Mehr zur Feinmobilität:
Website "Feinmobilität von Konrad Otto-Zimmermann
© Roland Stimpel